Der Norden in Bildern: Ein regionaler Abend zu Standpunkten, Genuss und Zukunft von Bio
Nachfolgende ‹Bildergalerie› gibt eine Idee von der Online-Veranstaltung ‹Der Norden›:
Auch 2022 war für den «Kurs Richtung Bio» die Videokonferenz das geeignetste Format. Online hat ja durchaus seine Vorzüge: familientauglich, bequeme Teilnahmemöglichkeit auch aus der Wienferne, keine (belastenden) Reisetätigkeiten etc. Und dennoch fehlt Vieles: die persönliche Betreuung, die Stimmung in der Location, der Duft der ausgestellten Lebensmittelvielfalt, das vielstimmige Gemurmel der Besucher*innen, die wohltuenden Umarmungen, der gemeinsame Genuss … Das Zoom-Meeting ist in Zeiten wie diesen eine gute Möglichkeit mit vielen lieben Menschen gleichzeitig in Kontakt zu treten. Der «Kurs Richtung Bio Der Norden» hat das Online-Format mit den gefürchteten Tücken der Technik bestmöglich umgesetzt. Mit dem Ziel, auch über die Distanz die Schönheiten der Biologischen Lebensmittelproduktion spür- und erlebbar zu machen.
Die Bio-Zukunftsdenkwerkstatt
Die Bio-Zukunftsdenkwerkstatt widmete sich der Frage, wohin sich Bio in Zukunft entwickelt/entwickeln soll. Um Antworten zu finden, ging es neben einer Reflexion der bisherigen Entwicklung des Biolandbaus vor allem um eine dynamische Auseinandersetzung mit möglichen Zukunftsperspektiven. In der Kommunikation mit den Konsument*innen bedeutet das unter anderem auch, das Verständnis für die biologische Praxis zu fördern und das Wissen über die Vorzüge der Biolandwirtschaft auch im Konsumalltag zu etablieren. Gleichzeitig gilt es das Vertrauen in Bio zu stärken sowie ein Verständnis für die sich ständig verändernde Lebenswirklichkeit im vermehrt städtischen Umfeld zu entwickeln.
2022 widmete sich die Agrarsoziologin und eine der führenden Bio-Gartenexpert*innen Andrea Heistinger dem Thema ‹Sorgsame Landwirthschaft für alle›. Basis ihrer – der Knappheit des Zeitbudgets geschuldet – Gedankenanstöße bildete ihre kürzlich veröffentlichte Wissenschaftspublikation ‹Sorgsame Landwirtschaft. Resiliente Praktiken im Ökologischen Landbau›.
Auch im ökologischen Landbau zeigen sich zur Deckung der rasch steigenden Nachfrage zunehmend Konventionalisierungs- und Industrialisierungsprozesse. Paralell sind gerade kleine Betriebe darum besonders bemüht, ökologische Grundnahrungsmittel im Rahmen einer besonders sorgsam zu produzieren.
Sorgsame Landwirtschaft versteht das Herstellen von Lebensmitteln, das Kultivieren von Land und das Halten von Tieren als Tätigkeiten, die davon gekennzeichnet sind, dass die Landwirtinnen und Landwirte in Beziehung gehen: Mit den Menschen, die die Lebensmittel essen, mit dem Boden, den sie kultivieren, mit den Pflanzen, die sie anbauen, mit den Tieren, die sie halten und auch mit sich selbst und ihrer eigenen Geschichte. Dies passiert konkret, in dem sie auf ‚Ressourcen‘ aus ihren eigenen Familien-Systemen zurückgreifen. Auf diese Weise entsteht eine Form von Resilienz, die als Verwurzelt-Sein in der eigenen Geschichte beschrieben werden kann: konkret in der eigenen Familien-Biografie. Kompetenzen, Wissen, Werte und Handlungsmuster, die sie hier „erworben“ haben, verweben sie auf kreative Weise mit neuem Wissen, um den Herausforderungen eines veränderlichen Marktes genauso begegnen zu können wie den Veränderungen des Klimas. Bei allem Modernisierungsglauben gilt es ‚das Sorgsame‘ in der Landwirtschaft im Fokus zu haben.
Wenn wir uns ehrlich sind, hat nur eine sorgsame Landwirtschaft wirklich eine Zukunft. Nur sie erfüllt sowohl die Erwartungen der Konsument*innen als sie auch die Ressourcen einer ökologisch-tiergerechten Lebensmittel-Wertschöpfungskette bewahrt.
Interview mit Andrea Heistinger, Elisabeth Kosnik und Gabriele Sorgo.
Der Bio-Genussparcours – Der Norden
Auch durch den nördlichen Bio-Genussparcours führte Katharina Seiser. Sie ist Kulinarik-Journalistin und Kochbuchautorin und gelernte Köchin. In Ihrer vielfältigen Arbeit ist sie kompromisslos und leidenschaftlich, wenn es um guten Geschmack und beste Zutaten geht. Als Qualitätsfanatikerin ist für sie klar, dass bei kulinarischem Genuss kein Weg an Bio vorbeiführt.
Genussparcours: Wie schmeckt der Norden? Duftet er anders als der Süden? Geschichte, Vielfalt und Genuss: Bühne frei für die regionalen Bio-Besonderheiten des kulinarischen Norden Österreichs!
Der ‹Genussparcours: Der Norden- Kurs Richtung Bio› ist eine unvollständige Auswahl regionstypischer Bio-Lebensmittel, die wir mit Sorgfalt für Sie ausgesucht und fotografisch festgehalten haben.
Aus der Fülle des reichen Angebots haben wir liebevoll sechs Bio-Lebensmittel für eine Live-Verkostung ausgesucht, die eine von der Region geprägte aber auch für die Region prägende Bedeutung haben: Cola-Sirup aus Eberraute, Emmentaler mit Steinmehlrinde, Rinderspeckpulver, Essiggurkerln, Mohnzelten und Goldbeer-Kompott – alles Bio und alles ehrliches Handwerk, versteht sich. Die Produzent*innen haben sich bereit erklärt, für die Verkostung Sondergrößen − eigentlich müsste man sagen: Sonderkleinheiten − zu verpacken bzw. abzufüllen. Die Bio-Genussparcours-Pakete wurden vorab zusammengestellt und per Post an die Teilnehmer*innen des Kurses verschickt.
Die für diesen Abend gewählte Art der Verkostung hatte sich schon in den Vorjahren gut bewährt. Die Verkostungsleiterin Katharina Seiser war ‚im Studio‘, die Verkoster*innen zu Hause oder im Büro hinter ihren Laptops. Nach dem gemeinsamen ‚Unboxing‘ und Bereitlegen aller notwendigen Utensilien folgte eine entspannte, umfassend kompetente und lustbetonte Verkostung, die die multiplen Mehrwerte der biologischen Produktion hochleben ließ. Das Format erwies sich als ausbaufähig-zukunftsweisend.
Pedacola (Cola-Sirup aus Eberraute): Der junge Peter Leitner war vor etwa zehn Jahren wild entschlossen, selber ein Cola zu brauen. Aber nicht irgendein Nachbau, sondern ein richtig gutes, regionales Bio-Erfrischungsgetränk. Bei einem Besuch in den Schaugärten der Arche Noah spielte sich die herrlich nach Cola duftende Eberraute in den Vordergrund. Da im Mühlviertel ein Peter halt als Peda angesprochen wird, war der schöne Firmennamen auch schnell gefunden.
Mit allerfeinster Eberraute von den Mühlviertler Biofeldern und mit viel Liebe zum Detail entstand in der leitnerischen Küche mit mazerierter Bio-Zitronen/-Limetten, -Minze, -Bourbon-Vanille und -Rübenzucker ganz ohne Zusatz jedweder Aromen über die Zeit die heutige Pedacolarezeptur. Ein betörendes Cola-Konzentrat, in konsequenter Bio-Qualität. Dieser bleibt zwar farblich im Vergleich ziemlich blass, kann aber in einer Verdünnung von 1:8 mit sehr sprudeligem Mineralwasser oder Soda wirklich was. Das koffeinfreie ‹Natural Pedacola› war 2020/2021 Österreichs Bio-Produkt des Jahres in der Kategorie Getränke.
Steintaler (Emmentaler mit Steinmehl): Das Urgsteinsmehl ist ein wesentliches Element der organisch-biologischen Landwirtschaft. Das Steinmehl fungiert beim Humusaufbau als die mineralische Komponente des von Mikroorganismen verkitteten Ton-Humus-Komplexes. Normalerweise wird Steinmehl also nicht in der Küche verwendet. Oder doch?
Josef und Thomas Höflmaier, die beiden jungen Käsemeister der Bio-Hofkäserei in Lochen am See (Salzburg), veredeln einen Teil der riesigen Rohmilch-Emmentalerlaibe während der mindestens neunmonatigen Reifezeit mehrmals mit Steinmehlabreibungen. Dieses Finish gibt dem angenehm mild-würzigen Hartkäse eine grau-schwarze Rinde und rundet den Geschmack zart mineralisch ab. Das Steinmehl und der Bio-Emmentaler machen sich gemeinsam sehr gut. Was zu beweisen war: das Steinmehl ist Teil der Bio-Philosophie und hat also auch in der guten Bio-Küche seinen wohltuenden Platz.
Speckup (Rinderspeckpulver): Robert Weißengruber ist Bio-Rinderbauer am Kemetnerhof in St. Veit im Mühlkeis. Eines Tages hat er im Kühlschrank ein Stück Rindfleisch „vergessen“. Das gute Stück ist langsam getrocknet. Das kompakte, dunkle Fleisch war ihm zu schade zum Wegschmeißen und also hat er das „Beef jerky“ über ein Nudelgericht gerieben. Wow, war das ein dichtes Geschmackerlebnis!
Aus dem Versehen reifte die Idee der Speckpulverherstellung, die er konsequent und in aller Bescheidenheit groß gedacht in Umsetzung brachte. Das Speckup ist ein großartig rauchig-fleischig schmeckendes Streupulver, das sich zum (Nach-)Würzen deftiger Speisen ganz hervorragend eignet. Man braucht nur minimale Streumengen, um einen beeindruckenden Effekt zu erzielen. Mit der Speckup-Produktion werden nun eigentlich sonst eher schlecht verwertbare Fleischteile neu in Wert gesetzt. So sehr, dass der Bio-Bauer die rasant wachsende Nachfrage gar nicht mehr stillen kann. Für die Kurs Richtung Bio-Verkostung wurden die allerletzten Ab-Hofchargen verschickt, bevor die Produktion ab nun von der nahe gelegenen Sonnberg Biofleischerei hochskaliert wird. Bio-Speckup für alle, sozusagen.
Pepi’s Piccolo Gurkerln: Essiggurkerln sind nun nicht so eine große Sache, meint man. Nein, groß sind die Piccolo-Essiggurkerln aus der Sauergemüse-Manufaktur Pflügelmeier nun wirklich nicht, ganz im Gegenteil.
Vielmehr kommen die jüngsten Gurken unmittelbar vom oberösterreichischen Feld ins kleine Glas und werden mit einem kochendem Sud nach altem Familienrezept zügig übergossen und im Anschluss gleich pasteurisiert. Das ist der ganze Hokuspokus. Die Kleinheit der Gurkerln und die verkürzte Pasteurisierzeit machen diese Essiggurkerln zu einem einmalig-knackigen Genusserlebnis. Wenn sich wer am ausgewiesenen, weitgereisten Rohrohzucker stößt, dem sei dazu erzählt: Pepi’s Gurkerln gab es schon zu einer Zeit, da gab es noch gar keinen Bio-Rübenzucker aus Österreich. Und warum ein so lange bewährtes Rezept ändern?, fragt sich Gerald Pflüglmeier und belässt es bei der bewährten Rezeptur. Und wer ist nun der Pepi? Namensgebend war kein Josef o.Ä., sondern die Pepi-Tant. Und die wollte einfach nur die besten Essiggurkerln essen. Recht hat(te) sie.
Mohnzelten: Wenn es kulinarisch um den Norden Östereichs geht, dann kommt man am Waldviertler Mohn nicht vorbei. Und auch nicht an Sonnentor.
Diese schönen Bio-Mohnzelten lässt der große österreichische Bio-Kräuter- und -Tee-Spezialist bei der traditionsreichen Bäckerei und Konditorei Pilz in Gmünd backen. Und die legen das Traditionsgebäck klassisch an: ein mürber Bio-Erdäpfelteig mit Weizenmehl wird mit einer üppigen Mohnfülle in einer angenehmen Mengenabstimmung gefüllt. Mohnzelten, wie sie sein sollen. Katharina Seiser gab diesem Mohngebäck beim Kurs Richtung Bio das schöne Attribut „Elbenbrot“, also geballte Bio-Energie für Dich und mich, wenn besondere Herausforderungen zu meistern sind.
Goldbeerenkompott (Physalis): Einen würdigen Abschluss der Online-Liveverkostung bildete das Physaliskompott – von Biobeeren Hummel im doppelten Wortsinn wertschätzend als Goldbeeren bezeichnet – im nördlichen Weinviertel im extrakleinen Verkostungsglas.
Physalis sind ein Nachtschattengewächs, das ursprünglich aus Südamerika (Andenbeeren) und Südafrika (Kap-Stachelbeere) vorkam. In der Zwischenzeit finden sich die winterharten Stauden auch bei uns in vielen Hausgärten oder gar Balkonen. Für das Kompott werden die kugeligen, goldgelben Frucht vor dem Einkochen in Zuckerwasser von ihrer papierdünnen Lampionhülle befreit. Das Kompott gefällt durch eine angenehme Süße, frische Frucht, exotischen Biss und ist dabei eine farbliche Augenweide. Wer Goldbeerenkompott im Keller eingelagert hat, darf sich wie an einem Goldschatz freuen.